Überblick
Ausschüttungen (Dividenden) aus Aktien sind vom Anteilseigner zu versteuern – und zwar auch dann, wenn die Dividenden wirtschaftlich nicht bei ihm verbleiben.
Diese (gar nicht so neue) Erkenntnis lässt sich einem jüngst veröffentlichten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) entnehmen. Darin konkretisiert der BFH, wer Anteilseigner ist: derjenige, dem die wesentlichen Rechte der Aktie objektiv und in tatsächlicher Hinsicht zustehen. Demgegenüber sind die subjektiven Absichten irrelevant; es spielt also etwa keine Rolle, ob der Anteilseigner als Aktionär sein Stimmrecht auf der Hauptversammlung wahrnehmen möchte.
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A. Hintergrund: Anteilseigner versteuert Dividenden in Abhängigkeit von seiner Anlegerkategorie
Die Dividenden versteuert der „Anteilseigner“ von Aktien (§ 20 Abs. 5 EStG). Das ist in aller Regel der zivilrechtliche Eigentümer; dieser ist nämlich grundsätzlich auch sog. wirtschaftlicher Eigentümer. Weicht jedoch der wirtschaftliche Eigentümer (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) vom zivilrechtlichen ab, ist der wirtschaftliche Eigentümer der Anteilseigner. Wirtschaftlicher Eigentümer ist derjenige, dem die wesentlichen mit der Aktie verbundenen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) zustehen und der deshalb den zivilrechtlichen Eigentümer von der wirtschaftlichen Aktiennutzung ausschließen kann.
Die Versteuerung von Dividenden beim Anteilseigner hängt von der Anlegerkategorie ab. Grundsätzlich gilt:
- Privatanleger zahlen die Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 %.
- Natürliche Personen, die Aktien im Betriebsvermögen halten, versteuern die Dividenden im Teileinkünfteverfahren. Die Dividenden sind zu 40 % steuerfrei und unterliegen dem individuellen Einkommensteuersatz von bis zu 45 %, wodurch in vielen Fällen eine ähnliche Steuerbelastung wie bei Privatanlegern entsteht.
- (Inländische) juristische Personen und andere unter das Körperschaftsteuergesetz fallende Anleger beziehen Dividenden im Ergebnis zu 95 % steuerfrei (8b KStG), sofern es sich nicht um Streubesitzbeteiligungen (Schwelle von 10 % für die Körperschaft- und 15 % für die Gewerbesteuer) handelt.
Die ausschüttende Aktiengesellschaft hat in allen Fällen 25 % Kapitalertragsteuer einzubehalten. Während diese bei Privatanlegern grds. Abgeltungswirkung hat, erfolgt in den beiden anderen Fällen die Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf die (Einkommen- oder Körperschaft-)Steuerschuld.
B. Was hat der BFH entschieden?
In seinem Urteil sah der BFH im zivilrechtlichen Eigentümer von Aktien auch den steuerlichen Anteilseigner, der auch wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien war. Für ein davon abweichendes wirtschaftliches Eigentum war es nicht ausreichend, dass der zivilrechtliche Eigentümer erhaltene Dividenden aus den Aktien in voller Höhe weiterleiten musste und wirtschaftlich daher kein Ertrag aus den Aktien bei ihm verblieb.
I. Sachverhalt
Im Streitfall übertrug die Klägerin (eine Aktiengesellschaft) ihrer Bank festverzinsliche Wertpapiere darlehensweise; daneben bestanden noch weitere damit zusammenhängende Geschäftsbeziehungen. Als Sicherheit erhielt die Klägerin Aktien aus dem Bestand der Bank, die von Mitarbeitern der Klägerin so ausgewählt wurden, dass die Klägerin zum Dividendenstichtag Eigentümerin der Aktien war. Anschließend wurden die Aktien gegen solche Aktien ausgetauscht, bei denen der Dividendenstichtag noch anstand. Über diese sicherungsübereigneten Aktien konnte die Körperschaft uneingeschränkt verfügen und die mit ihnen verbundene Stimmrechte ausüben, tat dies jedoch nicht und wollte es auch nicht. Bei Beendigung der Wertpapierdarlehen musste sie Aktien gleicher Art und Menge zurückübertragen. Erhaltene Dividenden musste sie zeit- und betragsgleich an die Bank weiterleiten, zudem hatte sie eine „Arrangierungsgebühr“ i.H.v. 2,2 % der Dividenden an die Bank zu zahlen.
II. Bestimmung des steuerlichen Anteilseigners von Aktien
Im Besteuerungs- und sich anschließenden Gerichtsverfahren herrschte Uneinigkeit darüber, wer Anteilseigner der sicherungsübereigneten Aktien war und welche steuerlichen Folgen aus dem Geschäft zu ziehen sind.
Die Klägerin wollte die Dividenden als zu 95 % körperschaft- und gewerbesteuerfrei behandelt haben (im Streitjahr 2006 galt o.g. volle Steuerpflicht von Streubesitzdividenden noch nicht) und die Zahlungen an die Bank (Weiterleitung der Dividenden sowie Arrangierungsgebühren) als steuermindernde Betriebsausgaben. Daraus ergab sich ein Steuervorteil der Klägerin.
Das Finanzamt wollte diesen Steuervorteil nicht anerkennen, weil es in den Geschäften insgesamt einen Gestaltungsmissbrauch sah (§ 42 AO).
Das Finanzgericht (FG) München wies die Klage ab, weil es die Bank als wirtschaftlichen Eigentümer (= steuerlichen Anteilseigner nach § 20 Abs. 5 EStG) ansah, dem die Aktien zuzurechnen seien. Denn die Bank erhalte wirtschaftlich die Dividenden; eine Nutzung der Aktien oder einen Übergang der wirtschaftlichen Chancen und Risiken auf die Klägerin hätten die Parteien hingegen nicht beabsichtigt. Die Dividenden und deren Weiterleitung seien daher nur durchlaufende Posten: Weder habe die Klägerin (steuerfreie) Dividenden bezogen, noch habe sie (steuermindernde) Betriebsausgaben.
III. BFH: Anteilseigner ist, wer die mit der Aktie verbundenen Rechte ausüben kann
Der BFH hingegen sah die Klägerin als Anteilseigner. Denn für die Bestimmung des Anteilseigners ist nicht relevant, ob der zivilrechtliche oder wirtschaftliche Eigentümer subjektiv beabsichtigt, seine mit den Aktien verbundenen Rechte auszuüben. Stattdessen ist danach zu fragen, ob ihm die rechtlichen Befugnisse zustehen und er sie tatsächlich wahrnehmen kann. Dies war bei der Klägerin der Fall, die als zivilrechtliche Eigentümerin der Aktien diese z.B. auch veräußern oder ihr Stimmrecht auf Hauptversammlungen wahrnehmen durfte.
Ob ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO vorliege (wie das Finanzamt meint), müsse nun das Finanzgericht München im zweiten Rechtsgang klären, an das er die Sache zurückverwies. Hierfür wird relevant werden, ob die Klägerin und die Bank nachweisen können, dass die Geschäfte auch einen anderen (außersteuerlichen) Zweck hatten als die Erzielung des beschriebenen Steuervorteils.
C. Ausblick für die Praxis zur korrekten Bestimmung des Anteilseigners
Das Urteil des BFH wird künftig noch häufiger herangezogen werden, wenn es um die Bestimmung des Anteilseigners geht, und zwar v.a. aus folgenden drei Gründen:
- Anteilseigner kann auch sein, bei wem wirtschaftlich kein Dividendenertrag verbleibt.
- Ein Anteilseigner muss die Rechte der Aktie nur ausüben können, er muss sie nicht auch ausüben wollen. Damit bestätigt der BFH sein Urteil vom 9.2021 (Az.: I R 40/17). Um den Anteilseigner korrekt zu bestimmen, ist daher besonders genau darauf zu achten, welche Rechte der Anteilseigner objektiv ausüben kann, auch wenn er subjektiv andere Pläne haben mag. Das erstinstanzliche FG hingegen hatte – so der BFH – zu Unrecht geprüft, was die Klägerin mit den Aktien beabsichtigt habe, und nicht, welche Rechte ihr tatsächlich zustanden.
- Der BFH hält fest, dass die Bezeichnung der Aktienübertragung als Sicherheitengestellung (ungeachtet des Wortlauts von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO) nicht zur Zurechnung der Aktien zum Sicherungsgeber (Bank) führt, weil die Klägerin die Aktien – anders als in typischen Konstellationen des Sicherungseigentums – auch ohne Eintritt eines Sicherungsfalls veräußern durfte.
Ob die konkrete steuerliche Gestaltung einen Gestaltungsmissbrauch iSd § 42 AO darstellt, ist nunmehr vom FG München im zweiten Rechtsgang zu klären. Jedoch wäre der streitige Steuervorteil nach heutigem Recht durch die konkrete Gestaltung nicht mehr zu erzielen, weil Streubesitzdividenden steuerpflichtig sind (§ 8b Abs. 4 KStG) und die Weiterleitung der Dividenden keine abzugsfähige Betriebsausgabe mehr wäre (§ 8b Abs. 10 KStG).