Überblick
I. Üblicher Haftungsausschluss für im Datenraum offengelegte Sachverhalte
Bei Unternehmenskäufen hat sich für die Haftungsbeschränkung des Verkäufers folgender Marktstandard etabliert: Die Haftung eines Verkäufers für einen Verstoß gegen eine vertragliche Garantie ist ausgeschlossen, sofern der Sachverhalt dem Käufer vorab, üblicherweise im Rahmen der Due Diligence, offengelegt wurde. Als „offengelegt“ gilt regelmäßig zumindest der Inhalt eines elektronischen Datenraums, in dem der Verkäufer Dokumente und Informationen über den Kaufgegenstand einstellt und dem Kaufinteressenten damit für eine Prüfung zur Verfügung stellt. Zu Beweiszwecken wird der Inhalt des Datenraums auf einem Datenträger gesichert und häufig einem Notar zur Verwahrung überlassen.
Elektronische Datenräume beinhalten üblicherweise eine Fülle von Dokumenten und Informationen aus verschiedenen Stadien einer Transaktion und aus unterschiedlichen Bereichen der Due Diligence (Financial, Commercial, Legal, Tax etc.). Der Inhalt des Datenraum besteht in der Regel aus vom Verkäufer vorausgewählten Dokumenten und ergänzenden, durch den Käufer im Verlauf der Due Diligence angefragten, Dokumenten. Dabei sind Datenräume unterschiedlich gut strukturiert und organisiert. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen wird regelmäßig die Frage diskutiert, ob an die Art und Weise der Offenlegung im Datenraum weitere Anforderungen zu stellen sind, bevor eine solche Offenlegung den Verkäufer enthaftet. In der Praxis haben sich unter dem Stichwort „Fairly Disclosed“ unterschiedliche Standards entwickelt, die die Aufklärungspflichten des Verkäufers konkretisieren und sicherstellen sollen, dass Dokumente und Informationen auf eine Art und Weise durch den Verkäufer zur Verfügung gestellt werden, dass ein Käufer hiervon auch Kenntnis erlangen kann. Insofern werden regelmäßig erhöhte Voraussetzungen an die (Ordner-)Struktur, die richtige Einordnung von Dokumenten innerhalb der Struktur und den Inhalt der Dokumente gerichtet.
II. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. September 2023
In einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. September (V ZR 77/22) hat sich jetzt der 5. Zivilsenat zu den Aufklärungspflichten eines Immobilienverkäufers bei Einrichtung eines Datenraums geäußert. Das Urteil des Gerichts wird auch für den M&A Markt eine große Relevanz entfalten. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat der Verkäufer drei Tage vor der Beurkundung des Kaufvertrags im Datenraum ein Protokoll einer bereits über zwei Jahre zurückliegenden Eigentümerversammlung eingestellt, aus dem sich das Risiko eines möglichen Schadens, der den Kaufpreis um ein Vielfaches übersteigen könnte, erkennen ließ. Auf die Bereitstellung dieses Dokuments hatte der Verkäufer den Käufer nicht gesondert aufmerksam gemacht und dieses Risiko auch nicht im kurz darauf unterzeichneten Kaufvertrag ausdrücklich vom vereinbarten Garantiekatalog ausgenommen.
Entsprechend dem in der Praxis weit verbreiteten Grundsatz des „Fair Disclosure“ sieht das Gericht in seiner Urteilsbegründung die Aufklärungspflichten eines Verkäufers nur dann als erfüllt an, „wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch die Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird“. Die Art und Weise der Offenlegung muss derart erfolgen, dass „der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird“. Ein schlichtes Protokoll einer Eigentümerversammlung ist ohne weiteren Hinweis nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht ausreichend, um einen Käufer adäquat über ein mögliches Risiko aufzuklären, das den Kaufpreis ggf. deutlich übersteigen kann. Für eine ausreichende Offenlegung solcher Sachverhalte hält das Gericht stattdessen Gutachten oder Dokumente ähnlicher Qualität für erforderlich. Der Bundesgerichtshof lässt zudem durchklingen, dass auch der Zeitpunkt der Offenlegung – kurz vor dem Beurkundungstermin – eine erhöhte Aufklarungspflicht an den Verkäufer stellt.
Der Bundesgerichtshof führt in seiner Urteilsbegründung allerdings einen weiteren Aspekt an, der für die Praxis ebenso von großer Bedeutung sein wird. Hierbei geht es nicht um die Frage, wie offenzulegen ist, sondern welche konkreten Sachverhalte offenzulegen sind. Einem von extern auf das Zielunternehmen blickenden Käufer ist es nahezu unmöglich, die relevanten Risiken abschließend zu identifizieren und etwaige fehlende Dokumente beim Verkäufer anzufragen. Hier ist ein Käufer regelmäßig auf die sorgfältige und pflichtbewusste Mitwirkung des Verkäufers angewiesen. In den Vertragsverhandlungen ringen die Parteien regelmäßig um eine Garantie durch den Verkäufer, dass dem Käufer „alle für die Transaktion relevanten Informationen“ zur Verfügung gestellt wurden. Im vorliegenden Fall hat das Gericht aufgrund der Bedeutung des offenzulegenden Sachverhalts darauf erkannt, dass der Verkäufer auch „ungefragt“ den Käufer über den relevanten Sachverhalt aufzuklären hatte. Auf eine entsprechende Garantie im Kaufvertrag kam es dem Gericht gar nicht an.
III. Ausblick
Die Auswirkungen des Urteils auf die M&A Praxis werden mit Spannung zu beobachten sein. In jedem Fall werden Verkäufer, M&A Berater und weitere auf Verkäuferseite in die Organisation eines Datenraums eingebundene Berater bei der Auswahl, dem Aufbau und der Betreuung des Datenraums erhöhte Sorgfaltspflichten zu beachten haben.
Insbesondere auf folgende Punkte gilt es künftig zu achten:
• Auswahl professioneller Datenräume: Es sollte ein professioneller Datenraum, der von einem entsprechenden Dienstleister zur Verfügung gestellt wird, ausgewählt werden. Professionelle Datenräume bieten erforderliche Funktionen für eine angemessene Struktur und Organisation. Insbesondere werden Berechtigte automatisch über den Upload neuer Dokumente per E-Mail informiert.
• Offenlegung kurz vor Abschluss der Transaktion: An eine Offenlegung kurz vor Abschluss der Transaktion können noch einmal erhöhte Anforderungen zu stellen sein. In der Praxis wird das vor allem bei Offenlegungen nach Abschluss der Due Diligence und kurz vor Vertragsunterzeichnung eine Rolle spielen. Hier könnte eine bloße automatisch generierte Mitteilung des Datenraumanbieters über neue Dokumente im Datenraum nicht ausreichen, insbesondere wenn sie sich auf Sachverhalte von hoher Relevanz bezieht und der Verkäufer vorab glaubhaft versichert hat, dass solche Sachverhalte für das Zielunternehmen nicht zutreffend sind.
• Auswahl der offenzulegenden Dokumente: Insbesondere Sachverhalte, die ein wesentliches mögliches Risiko für das Zielunternehmen darstellen, sind auch „ungefragt“ durch den Verkäufer offenzulegen.
• Art und Weise der Offenlegung (Konkretisierung des „Fair Disclosure“): Bei der Auswahl der Dokumente ist darauf zu achten, dass insbesondere wesentliche Risiken nicht als „versteckt“ sondern „präsent“ offengelegt werden.