Überblick
Zahlreiche Staaten auf der ganzen Welt haben im Kampf gegen die COVID-19 Pandemie strenge Maßnahmen ergriffen. Diese begründen oft erhebliche Grundrechtseinschränkungen, nicht nur für die Einwohner dieser Staaten sondern auch für die in dem jeweiligen Hoheitsgebiet tätigen Unternehmen. Das Spektrum dieser Maßnahmen reicht von Reisebeschränkungen, Import- und Exportbeschränkungen zu Geschäftsschließungen, Ausgangssperren und sogar Beschlagnahmen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maßnahmen sind für die betroffenen Unternehmen unterschiedlichster Branchen verheerend.
Isoliert betrachtet, würden derartige Eingriffe zweifellos gegen einen oder mehrere der üblicherweise in bilateralen oder multilateralen Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schutzstandards verstoßen. Dazu gehören zum Beispiel die Verpflichtungen des Gaststaats, ausländische Investoren und ihre Investitionen fair und gerecht zu behandeln, ihnen vollen Schutz und volle Sicherheit zu gewähren sowie die Vorschriften bzgl. (indirekter) Enteignungen.
Mit mehr als 1,5 Millionen bestätigten COVID-19-Fällen weltweit und einer stetig wachsenden Infektionsanzahl stellt die andauernde Pandemie allerdings einen gewichtigen Sachzusammenhang dar. Die staatlichen Maßnahmen werden mit dem Ziel ergriffen, die rasante Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen und so die Gesundheit von Millionen von Menschen zu schützen. Dies ist zweifellos ein legitimes öffentliches Interesse von überragender Bedeutung. Das Völkerrecht, einschließlich des Investitionsschutzrechts, erkennt jedem Staat das Recht zu, in einem solchen Zusammenhang regulierend tätig zu werden, ohne dabei eine völkerrechtliche Haftung zu begründen.
Einige (neuere) Investitionsschutzabkommen enthalten zum Beispiel ausdrückliche Anwendungsausnahmen für Maßnahmen die legitime Ziele des Gemeinwohls verfolgen1. Enthält das anwendbare Investitionsschutzabkommen eine solche ausdrückliche Regelung nicht, kann eine völkerrechtliche Haftung des Gaststaats aufgrund völkergewohnheitsrechtlich anerkannter Einwendungen wie höhere Gewalt, Notlage, Notstand oder der sog. Police-Powers-Doktrin dennoch ausgeschlossen sein. So wurde beispielsweise die Police-Powers-Doktrin bereits im späten 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit einen ähnlichen Sachverhalt, einer Pockenepidemie, angewandt. Damals entschied eine für Streitigkeiten zwischen Deutschland und Venezuela eingerichtete Schiedskommission (Mixed Claims Commission) im Bischoff-Fall (1903) einstimmig, dass die Beschlagnahme einer Kutsche durch venezolanische Behörden aufgrund des Verdachts, dass mit der Kutsche zwei infizierte Personen befördert worden waren, nicht völkerrechtswidrig war. In diesem Zusammenhang betonte die Schiedskommission, dass „während einer Epidemie einer Infektionskrankheit sicherlich keine Haftung für die angemessene Ausübung von hoheitlicher Gewalt begründet werde.“2
Gleichwohl kann die COVID-19-Pandemie auch nicht uneingeschränkt zur Rechtfertigung staatlicher Eingriffe dienen. Wird die Pandemie lediglich als Vorwand für ansonsten völkerrechtswidriges Handeln genutzt, bleibt eine Haftung weiterhin bestehen. Zudem genießen Staaten in anerkannten Notlagen zwar grundsätzlich einen großen Ermessensspielraum, rechtstaatliche Grundsätze sind jedoch weiterhin – und sogar insbesondere dann – einzuhalten. Dazu zählen etwa Treu und Glauben, das Diskriminierungsverbot und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Entsprechend bestätigte auch die Schiedskommission im Fall Bischoff, dass selbst „wenn die ursprüngliche Inbesitznahme rechtmäßig war, [die] Regierung für Schäden aufgrund unangemessen langer Dauer der Beschlagnahme des Eigentums und für Beschädigung desselben während dieses Zeitraums haftet.“3
In ähnlicher Weise betonte in einem anderen Fall das Iran-United States Claims Tribunal, dass „ein Staat nicht für den Verlust von Eigentum oder für andere wirtschaftliche Nachteile verantwortlich ist, die sich aus […] Maßnahmen ergeben, die in gutem Glauben erlassen worden und allgemein als von der hoheitlichen Gewalt von Staaten anerkannt werden, sofern sie nicht diskriminierend sind und nicht das Ziel verfolgen, den Ausländer dazu zu bringen das Eigentum dem Staat zu überlassen oder es dem Staat zu einem niedrigen Preis zu verkaufen.“4
Investoren, die infolge staatlicher COVID-19-Maßnahmen schwerwiegenden wirtschaftlichen Schaden erlitten haben, sollten daher genau den ihrer bestimmten Situation zugrundeliegenden Sachverhalt analysieren und mit Hilfe eines erfahrenen Investitionsschutzrechtlers prüfen, ob die fraglichen Eingriffe im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Gaststaats stehen. Unter Umständen kann auch aufgrund sog. compensation for losses Klauseln5 eine eigenständige völkerrechtliche Verpflichtung des Gaststaats bestehen, im Zusammenhang mit der Pandemie entstandene Schäden umgehend und angemessen (in verwertbarer Währung) zu entschädigen. Regelmäßig begründen sie zudem eine Verpflichtung für den Gaststaat, ausländischen Investoren Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung in Bezug auf Restitution, Entschädigung, Schadenersatz oder sonstige Abwicklung von in diesem Zusammenhang erlittenen Verlusten zu gewähren.
Staaten, die in der aktuellen Situation regulatorisch aktiv sind, sind gut beraten, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen bereits bei der Planung etwaiger Maßnahmen zu berücksichtigen und diese laufend zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie wirksam sind und einer rechtlichen Prüfung standhalten, sollten sie später angegriffen werden.6
***
– 1 Artikel 9.11 des China-Australien Freihandelsabkommen sieht folgendes vor: „Maßnahmen einer Partei, die nicht diskriminierend sind und den legitimen Zielen des öffentlichen Wohls in Bezug auf die öffentliche Gesundheit, Sicherheit, Umwelt, gute Sitten oder öffentliche Ordnung dienen, können nicht Gegenstand eines Anspruchs nach diesem Abschnitt sein.“ In der englischen Originalfassung heißt es: „Measures of a Party that are non-discriminatory and for the legitimate public welfare objectives of public health, safety, the environment, public morals or public order shall not be the subject of a claim under this Section.“).
– 2 In der englischen Originalfassung heißt es: „[c]ertainly during an epidemic of an infectious disease, there can be no liability for the reasonable exercise of police power.“
– 3 In der englischen Originalfassung heißt es: „where the original taking was lawful, [the] government is liable for damages for the detention of the property for an unreasonable length of time and injuries to the same during that period.”
– 4 Too v. Greater Modesto Insurance Associates (1989). Hervorhebung durch den Autor. In der englischen Originalfassung heißt es: „a State is not responsible for loss of property or for other economic disadvantage resulting from bona fide […] action that is commonly accepted as within the police power of States, provided it is not discriminatory and is not designed to cause the alien to abandon the property to the State or to sell it at a distress price.“
– 5 Siehe zum Beispiel Artikel 12 des Vertrags über die Energiecharta.
– 6 Oft beziehen sich die entsprechenden Klauseln auf „losses due to armed conflict, war, state of national emergency or civil disturbance“. Manchmal werden auch „acts of God“ oder „force majeure scenarios“ ausdrücklich erwähnt.